Wird KI die Beratung töten?
- Boris Thienert

- 7. Dez.
- 7 Min. Lesezeit
Warum die nächsten 12 Monate über dein Geschäftsmodell entscheiden

Die Diskussion ist überall: Wird Künstliche Intelligenz Beraterinnen und Berater ersetzen?
Die ehrliche Antwort ist unangenehm: KI tötet nicht Beratung – sie tötet dein bisheriges Geschäftsmodell. Und sie macht gleichzeitig diejenigen Berater*innen extrem erfolgreich, die den Wandel ernst nehmen.
Dieser Artikel basiert auf Daten von über 3.300 Fach- und Führungskräften in 106 Ländern, davon mehr als 1.700 aus Professional Services & Consulting.1Die Ergebnisse zeigen klar: Wir stehen an einem Wendepunkt – und die Branche spaltet sich in Gewinner und Verlierer.
1. Der 5x-Produktivitäts-Gap: Warum einige Berater:innen davonziehen
Die Zahlen sind eindeutig:1
Fortgeschrittene KI-Nutzer in Professional Services sparen durchschnittlich
13,83 Stunden pro Woche.
Anfänger kommen im Schnitt nur auf 2,84 Stunden.
Das ist kein kleiner Vorsprung, sondern ein 5-facher Produktivitätshebel – jede Woche.
Was heißt das konkret?
Wer 10–15 Stunden pro Woche durch KI frei spielt, kann:
mehr Projekte parallel betreuen,
mehr Zeit in Konzeption und Strategie stecken,
eigene Produkte/Assets entwickeln,
oder schlicht: stressfreier und gesünder arbeiten.
Wer nur 1–3 Stunden spart, bleibt im operativen Hamsterrad gefangen – mit allen bekannten Symptomen: Überlastung, Margendruck, kein Raum für Innovation.
Und: Diese Lücke wird von Quartal zu Quartal größer. Fortgeschrittene Nutzer verbessern ihre Workflows stetig – und ziehen allen anderen davon.
2. Dein Expert:innenstatus ist nicht mehr exklusiv – und genau das ist das Problem
Beratung war jahrelang auf einem einfachen Modell aufgebaut:
Expertise × Zeit = Wert.
Man hat sich über Jahre oder Jahrzehnte Spezialwissen aufgebaut und dieses Know-how in Projekten stundenweise verkauft. Dieses Modell bröckelt.
Denn heute kann jemand mit:
sehr wenig Erfahrung,
gutem Prompting,
und einem 20 €/Monat KI-Abo
bereits 70–80 % vieler klassischen Deliverables erzeugen:
Marktanalysen,
Wettbewerbsvergleiche,
Standard-Reports,
regulatorische Recherchen,
erste Strategievorschläge.
Beispiele aus der Praxis:
Der Strategy Consultant, der 300 €/Stunde für Marktstudien verlangt, konkurriert mit einem Junior, der KI nutzt und in einem Bruchteil der Zeit ähnliche Ergebnisse liefert.
Die Steuerspezialistin, die viele Stunden für komplexe Recherche abrechnet, trifft auf Tools, die tausende Dokumente in Sekunden durchsuchen.
Der Strategieberater, der sich darauf beruft „Das habe ich schon oft gesehen“, steht plötzlich neben Systemen, die auf Millionen von Fällen trainiert sind.
Heißt das, Beratung ist tot?
Nein. Aber so zu tun, als wäre „Erfahrung“ allein ein sicherer Burggraben, ist brandgefährlich. Expertise ist nicht weg – sie ist nur nicht mehr dein Alleinstellungsmerkmal.
3. KI tötet das Stundenmodell der Beratung – und schafft eine neue Formel für Wert
Die Berater*innen, die zu den Gewinnern gehören, machen eine zentrale Verschiebung:
Vom alten Modell:
Expertise × Zeit = Wert
Zum neuen Modell:
Expertise × KI-gestützte Execution = Wert
Was ändert sich dabei?
Du verkaufst nicht mehr „10 Tage Research“,
sondern „Strategische Marktentscheidung mit belastbarer Datengrundlage in 5 Tagen“.
Du verkaufst nicht mehr „X Stunden Compliance-Check“,
sondern „Haftungssichere, dokumentierte Compliance in Rekordzeit“.
Du verkaufst nicht mehr „Präsentationserstellung“,
sondern „Executive-Ready Storyline mit datenbasierten Optionen“.
Anders gesagt:
Nicht „Ich nutze auch KI“, sondern „Unsere Ergebnisse sind KI-gestützt schneller, präziser und smarter“ wird zum Kern deines Wertversprechens.
4. Professional Services: Innovativ, aber nicht produktiv genug
Die Studie zeigt: Professional Services & Consulting schneidet im Branchenvergleich gemischt ab:1
Platz 5 bei der KI-getriebenen Produktivität
(also Zeitersparnis & Effizienz)
Platz 2 bei Innovation
(Experimentierfreude, Kreativität, Ausprobieren neuer Tools)
Das Bild dahinter:
Berater*innen sind sehr neugierig und probieren viel mit KI aus.
Aber sie schaffen es selten, diese Experimente in robuste Workflows zu überführen, die
immer wieder genutzt werden,
im Team geteilt werden,
und messbar Zeit, Kosten und Fehler reduzieren.
Viele nutzen KI wie Tourist*innen:
Man schaut kurz vorbei (ChatGPT öffnen),
schreibt ein paar Prompts,
lässt sich inspirieren –
und kehrt dann in den alten Alltag zurück.
Was fehlt, ist der Sprung vom Spielmodus in den Systemmodus.
5. Drei Fallen, die deine KI-Initiative scheitern lassen
Die Daten zeigen drei wiederkehrende Muster, warum KI in Beratungen „nicht funktioniert“ – obwohl die Tools eigentlich könnten.
5.1. Die Tool-Buffet-Falle
„Wir geben allen Zugriff auf möglichst viele Tools – dann wird sich schon was Gutes ergeben.“
Ergebnis:
5–10 Tools im Einsatz,
alle „mal getestet“,
aber keine Standards, keine Tiefenkompetenz, keine klaren Workflows.
Was passiert dann?
Die einen sind von der Vielfalt überfordert und nutzen keins ernsthaft.
Andere verwenden das falsche Tool für die falsche Aufgabe.
Am Ende heißt es: „Wir haben alles probiert, aber der Mehrwert war begrenzt.“
Besser:
2–3 Kern-Tools auswählen.
Diese konsequent in definierte Use Cases integrieren.
Schulung und Best Practices genau darauf ausrichten.
Tiefe schlägt Breite – Top-Performer nutzen weniger Tools, aber besser.
5.2. Die Metrics-Falle
„Wir tracken Logins, dann wissen wir, ob KI ankommt.“
Viele Organisationen feiern:
hohe Anmeldezahlen,
viele aktive Accounts,
rege Nutzung in der Oberfläche.
Doch die harten Fragen werden nicht gestellt:
Wieviel Zeit sparen wir pro Aufgabe?
Wie verändert sich die Fehlerquote / Qualität?
Welche konkreten Use Cases liefern den größten Hebel?
Ergebnis:
Nach 3–6 Monaten erkennt niemand klaren ROI.
Budgets und Aufmerksamkeit wandern zum nächsten Hype-Thema.
Die Skeptiker fühlen sich bestätigt: „Wir wussten doch, KI ist überbewertet.“
Besser:
Ganz wenige, klare Kernmetriken definieren, z.B.:
Zeitersparnis pro Task (vorher/nachher),
Fehlerquote / Rework-Quote,
Durchlaufzeit (z.B. Angebotserstellung, Analysen),
zusätzliche Kapazität (mehr Projekte pro Team / Person).
5.3. Die Ownership-Falle
„KI ist Chefsache – aber auch Sache von HR, IT, Fachbereichen… also irgendwie von allen.“
Wenn niemand klar verantwortlich ist, passiert Folgendes:
Pilotprojekte laufen ins Leere.
Gelerntes wird nicht dokumentiert.
Erfolgreiche Ansätze werden nicht skaliert.
Die Organisation schlussfolgert: „Bei uns funktioniert KI nicht.“
Besser:
Eine eindeutig benannte Person (oder im Zweifel ein kleines Kernteam) bekommt die Verantwortung für KI-Produktivität und Adoption.
Mit:
klar definierten Zielen,
einem kleinen Budget,
direkter Unterstützung aus der Geschäftsleitung.
Genau diese Rolle – oft „AI Champion“, „AI Lead“ oder „AI Productivity Owner“ genannt – ist in den erfolgreichen Firmen sichtbar.
6. Was erfolgreiche Berater*innen anders machen
Die Studie illustriert das an konkreten Personen (sinngemäß):
Marcus, Strategieberater in einer Big-4-Gesellschaft in Deutschland:
Reduziert seine Research-Zeit von zwei Tagen auf vier Stunden.
Spart rund 12 Stunden pro Woche.
Nutzt ein klar definiertes Tool-Set (z.B. ChatGPT Enterprise, Copilot, Gamma, Notion AI).
Nutzt KI für das „Gerüst“ der Recherche und konzentriert sich auf Synthese & Strategie.
Stefan, Kollege im gleichen Umfeld:
Nutzt KI vor allem als Autocomplete in E-Mails.
Spart ca. 2 Stunden pro Woche.
Arbeitet weiterhin 60-Stunden-Wochen – ohne spürbaren Hebel.
Übertrage das auf deine Realität:
Beide sind klug. Beide haben Beratungserfahrung. Der Unterschied ist: einer hat KI systematisch in seine Wertschöpfung integriert.
7. Die eigentliche Transformation: Von „Ich nutze KI“ zu „Wir liefern KI-gestützte Outcomes“
Der entscheidende Schritt für Beratungshäuser und Einzelberater:
KI nicht als Gimmick, sondern als Kernbestandteil des Angebots denken.
Den Kunden klar kommunizieren:
Was sich dadurch verbessert (z.B. Geschwindigkeit, Tiefe, Transparenz, Nachvollziehbarkeit).
Wie Risiken adressiert werden (z.B. Datenschutz, Halluzinationen, Qualitätschecks).
Das eigene Pricing und die eigene Story anpassen:
Weg von „Tagessatz × Manntage“.
Hin zu wert- und outcome-orientierten Modellen.
Beispiele:
„AI-augmented Marktanalyse in 10 Tagen mit drei verprobten Szenarien“
„Compliance-Check mit dokumentierter Prüfung aller relevanten Quellen – innerhalb von 48 Stunden“
„Strategieworkshop, bei dem Live-Szenario-Simulationen via KI durchgeführt werden“
8. Dein 30-Tage-Blueprint für den Einstieg
Du brauchst kein 12-monatiges Großprojekt. Was du brauchst, sind 30 fokussierte Tage, um den Schalter umzulegen.
Woche 1 – Wähle dein Schlachtfeld
Identifiziere einen wiederkehrenden Task,
der mindestens 5 Stunden pro Woche kostet,
und klar messbar ist (z.B. Angebotsentwürfe, Research, Berichte, Präsentationen).
Wähle ein zentrales KI-Tool, mit dem du genau diesen Task adressierst.
Erstelle eine Baseline:
Wie lange dauert der Task aktuell?
Welche typischen Fehler / Reworks treten auf?
Woche 2 – Baue die Gewohnheit
Nutze das Tool jeden Tag für genau diesen Task.
Dokumentiere kurz:
Was hat gut funktioniert?
Wo hat die KI Fehler gemacht?
Welche Prompts / Vorgehensweisen waren hilfreich?
Ziel: Routine vor Perfektion.
Du baust Muskulatur auf, nicht sofort den Weltrekord.
Woche 3 – Messen & schärfen
Vergleiche jetzt mit deiner Baseline:
Wieviel Zeit sparst du?
Hat sich die Qualität verbessert/verschlechtert?
Zielmarke: mindestens 20 % Zeitersparnis.
Teile deine Ergebnisse mit einer skeptischen Kollegin oder einem skeptischen Kollegen – und bitte um ehrliches Feedback.
Woche 4 – Skalieren oder pivoten
Wenn der Use Case funktioniert:
Dokumentiere deinen Workflow klar (Screenshots, Checkliste, Prompts).
Bringe eine weitere Person bei, exakt so zu arbeiten.
Vereinbart einen Check nach weiteren 30 Tagen: Nutzt ihr das noch? Wo hakt es?
Wenn der Use Case nicht funktioniert:
Wechsle den Anwendungsfall, nicht das Tool.
Die Fähigkeit, Workflows zu designen, ist wichtiger als ständig neue Tools zu testen.
9. Die nächsten 12 Monate: Zwei mögliche Pfade
Die Daten zeichnen ein klares Bild. Wenn der Produktivitäts-Gap weiter wächst, werden wir in Professional Services drei Entwicklungen sehen:
Preisverfall für Commodity-BeratungWer KI kaum nutzt oder nur oberflächlich integriert, wird über den Preis angegriffen.
Premium-Preise für KI-gestützte BeratungenDiejenigen, die klar zeigen können „Wir liefern bessere Ergebnisse in weniger Zeit“, werden höhere Tagessätze bzw. Projektpauschalen durchsetzen.
MarktkonsolidierungBeratungen, die KI operationalisieren, verdrängen mittelmäßige Wettbewerber und holen Marktanteile.
Am Ende läuft es auf eine bewusste Entscheidung hinaus:
Pfad 1 – Ignorieren
Du verlässt dich weiter vor allem auf Erfahrung.
Du hoffst, dass KI „doch nicht so schlimm“ wird.
Du arbeitest immer mehr Stunden, um Margen und Qualität zu halten.
Du verlierst Projekte an jüngere, KI-starke Wettbewerber.
Pfad 2 – Transformieren
Du baust mindestens einen KI-gestützten Workflow auf, der messbar wirkt.
Du misst, verbesserst und skalierst diese Ansätze.
Du definierst dein Leistungsversprechen neu:
Schneller UND besser, nicht „wie früher, nur teurer“.
Du positionierst dich bewusst als AI-augmented Berater*in.
10. Wie wir dich dabei unterstützen können
(AI COMPL1ZEN)
Wenn du diesen Weg nicht alleine gehen möchtest, unterstützen wir dich bzw. dein Team u.a. bei:
Identifikation der richtigen Anwendungsfälle in deiner Beratungspraxis
Aufbau von praxistauglichen KI-Workflows – mit Tools, die zu eurem Tech-Stack und euren Compliance-Anforderungen passen.
Training & Enablement für Berater*innen:
von ersten sinnvollen Prompts
bis hin zur Automatisierung ganzer Teilprozesse.
Messkonzept & Governance, damit KI-Einsatz:
messbar,
skalierbar
und verantwortungsvoll bleibt.
Fazit: KI wird Beratung nicht ersetzen –aber KI-gestützte Beratungen werden diejenigen verdrängen, die so weiterarbeiten wie bisher.
Die Frage ist nicht, ob du betroffen bist. Die Frage ist nur, auf welcher Seite der 5x-Lücke du stehen möchtest.
Quelle: AI Maturity Assesment



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